Kunst am/im Bau - Martin Bruno Schmids architektonisch-künstlerische Interventionen
„Mein künstlerisches Material? Der Ort und die Architektur. Damit arbeite ich.“ (Martin Bruno Schmid)
Der Begriff „Kunst am Bau“ ist eigentlich eine Verharmlosung, wenn es um die Arbeiten von Martin Bruno Schmid geht. Denn die Werke des Stuttgarter Künstlers sind keine additiven, reversiblen Applikationen, sondern manifestieren sich als bleibende Eingriffe in die Materie von Architektur. Seine Interventionen begnügen sich nicht mit der Bespielung von Bauwerken und Oberflächen, sondern greifen chirurgisch-operativ in die Substanz ein. Aus den jeweiligen Gebäuden heraus entwickelt, von diesen inspiriert und explizit für diese konzipiert, erweisen sich Schmids Interaktionen als einzigartige Verflechtungen von Kunst und Architektur.
The German expression Kunst am Bau actually plays down the works by Martin Bruno Schmid. This is because the works by the Stuttgart artist are not simply additive, reversi- ble decorations but manifest themselves as lasting interventions into the matter of the architectural substance as such. His interventions are not satisfied with merely decorating buildings and surfaces but affect the building stock almost like a surgery. Developed based on the respective buildings, inspired by them and design explicitly for each different building, Schmid’s interactions turn out to be unique interlinkages of art and architecture.
AIT 12.2019
Kunst und Architektur
Martin Bruno Schmid arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und Architektur. Bohrmaschine, Säge und Schleifpapier sind seine Mittel; Material wird entfernt, (fast) nie appliziert. Neben der täglichen Atelierarbeit nimmt Kunst am Bau einen wichtigen Platz in Schmids Schaffen ein. Mit seinen minimalistischen und gleichzeitig äußerst radikalen Eingriffen in Gebäude thematisiert Schmid das Bauwerk selbst. Dabei geht er oft an die Grenzen des Tragbaren und macht sichtbar, was wir für selbstverständlich, nebensächlich oder belanglos halten.
Textauszug Monografie Martin Bruno Schmid Fast Nichts, arnolsche Art Publishers 2022
Arbeiten in, an und mit Wänden
Für Martin Bruno Schmid beginnt die Kunst schon da, wo der Gewohnheitsmensch sie noch in der Vorbereitung wähnt. Ein Überraschungsmoment in der Wahrnehmung: ein Dübel in der Kunst signalisiert, dass in der Folge nun die Schraube gesetzt würde, um den Platz für die Kunst zu bereiten. Was, wenn nun ein Dübel aus purem Gold in die Wand getrieben wäre – konzipiert für das Humboldtforum in Berlin, wofür der Künstler den ersten Preis innerhalb eines Kunstwettbewerbs gewonnen hat. Zu wissen, es ist Gold, lässt die komplette Schmuckindustrie glanzvoll brillieren; Gold ziert die Schlösser einstiger fürstlicher und königlicher Herrscher; Gold ist Garant für Reichtum, Zierde, Prunk und Pracht, Gier und Ausbeutung. In der Ausstellung wird das am wenigsten beachtete Requisit, das billigste Allerweltsmassenprodukt: der Dübel, in Gold gegossen und zum noblen Platzhalter in der Wand für das, was für gewöhnlich dort hängen würde – ein Bildwerk eines alten Meisters oder eines Künstlers wie beispielsweise Martin Bruno Schmid. Aber wohlgemerkt: es ist ein Werk von ihm!
Seine Interventionen machen Kunst vor der Kunst sichtbar: Er zerschlitzt Säulen, schneidet tonnenschwere Tondi aus Betonwänden und dreht sie gegen den Strich, er bohrt Löcher in Decken – alles skulpturale Statements, brisante Erkundungen am Fundament des Seins.
Die dünnsten seiner fragmentierten ›Wandungen‹ sind Papiere, sein simpelster Bohrer ist die Bleistiftspitze, mit der er fragile Reliefs erschafft, zuweilen mit entschiedenen oder auch zerfetzten Kaprizen gegenüber dem noch verbliebenen, makellosen Millimeterpapier. Apropos makellos: In seinen »Facepeelings« schleift Martin Bruno Schmid die Titelseiten von Hochglanzmagazinen ab – eine Art Häutung oder Lifting, bei dem, anders als bei einer Schönheits-OP, weniger eine kosmetische Verschönerung stattfindet als die Rücknahme des schönen Scheins zugunsten des zugrunde liegenden Seins.
Günter Baumann, Textauszug (Auszug) zur Ausstellung:
Platino – Martin Bruno Schmid „einander_ensemble“,
Galerie Schlichtenmaier, Stuttgart, 2022
Bodenständiger Minimalismus
„Ich mache nicht aus Selbstzweck Löcher. Für mich ist das Löcher bohren auch eine Möglichkeit, hinter die Dinge zu schauen“ (Martin Bruno Schmid)
Martin Bruno Schmids Werk steht auf den ersten Blick in der Tradition der formalistischen Moderne. Wie andere Künstler seiner Generation greift der in Baden-Württemberg ansässige Künstler den minimalistisch-konkreten Formenkanon jedoch auf und aktualisiert diesen auf ganz eigenständige Art und Weise für die Gegenwart.
Noch während seines Studiums an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart entsteht die Werkreihe Facepeelings. Für diese schmirgelt Martin Bruno Schmid Cover von Mode-, Lifestyle und Kunstmagazinen so lange ab, bis eine weiße samtige Oberfläche zum Vorschein kommt. Das bunte Hochglanzmagazin wird auf diese Art und Weise durch Handarbeit in ein hermetisches Minimal-Artefakt transformiert, das den Betrachter dazu auffordert, sich auf die eigenen innere Bilder zu besinnen, anstatt sich an den massenhaft verbreiteten kommerziellen Bildwelten zu orientieren.
Alleinstellungsmerkmal der Bilder, die Martin Bruno Schmid im Zuge seiner weiteren künstlerischen Entwicklung kreiert, ist die Wahl seines bodenständigen Werkzeuges. So fertigt Schmid Wandbilder, sogenannte Bohrstücke, nicht mit Pinsel und Farbe, sondern mittels einer Bohrmaschine, mit der er die Oberfläche des Bildträgers in der Tradition der formalistischen Malerei selbst zum Thema macht, indem er sie perforiert. Durch die unregelmäßig gesetzten Bohrungen entstehen geometrische Formen, Kreise, Vierecke oder Muster, die den Bildträger bzw. die Wand organisch verlebendigen.
Mit den Jahren werden die Arbeiten von Martin Bruno Schmid dann im wahrsten Sinne des Wortes „raumgreifender“ und der Künstler „aktiviert“ nicht nur Wände bzw. Decken von Innenräumen sondern ganze Gebäude, die er im Rahmen von Kunst-am-Bau-Aufträgen auf die unterschiedlichste Art und Weise künstlerisch auflädt.
Für überregionales Aufsehen sorgte im Jahr 2017 beispielsweise sein Plan, im Zuge eines gewonnen Kunst-am-Bau-Wettbewerbes die tragenden Stahlbetonsäulen im Foyer des neuen Geo- und Umweltzentrums der Universität Tübingen jeweils der Länge nach aufzuschlitzen. Ein Eingriff, der zwar ephemer, aber von großer Wirkung ist. Entsteht bei den Besuchern, die die Schlitze wahrnehmen, doch ein Gefühl von Verunsicherung und nicht zuletzt vielleicht auch ein Bewusstsein für die Labilität der Natur, die in diesem Haus erforscht wird.
Mit dem Wettbewerbsbeitrag Fond (Goldgrund) wurde ein Entwurf des Künstlers mit dem ersten Preis ausgezeichnet, der nicht Kunst am Bau sondern im wahrsten Sinne des Wortes Kunst im Bau ist. So sollen im Rahmen dieses Projektes im Foyer des Humboldt Forums im Berliner Schlosses 64 handgearbeitete Dübel-Objekte aus reinem Gold so in die Wände des Auditoriums eingemauert und verankert werden, dass für den Betrachter nur noch die kreisrunde Oberfläche als minimalistische goldene Setzung sichtbar ist. Eine Arbeit, die das Argument der Politik, dass Kunst und Kultur eine Investition in die Zukunft sei beim Wort nimmt und nicht zuletzt im Sinne der Humboldt-Brüder ist, da es High and Low auf überzeugende Art und Weise in einem Werk vereint.
Dr. Nicole Fritz, Direktorin der Kunsthalle Tübingen
In: ARTMAPP, Ausgabe Nov2018/Feb2019
DIE FRAGE NACH DEM VORHANDENEN
Das Gefühl durch eine Wand gehen zu können, gleicht dem ebenso absurden Gedanken, auf dem Grund des Meeres stehen zu können. Letztendlich sind sie doch beide möglich, wenn zwei Dinge befolgt werden: Die Wegnahme von materieller Substanz und die gedankliche Vorstellung dieses Weggenommenen. Ohne die Vorstellung des (fehlenden) Meeres wäre nämlich sein Grund nur eine gigantische Fläche aus Schlick und Würmern. Denn die Präsenz des Meeresgrunds wird allein durch die Bewusstmachung der Absenz des Meeres zu einem erhabenen Moment.
Als Martin Bruno Schmid 2005 im Kunstverein Ahlen eine Ausstellungswand entfernt, bedient er sich genau diesen Prinzips. So kann das Wegnehmen durchaus eine Form des Hinzufügens werden , indem es Dinge offenbart und ermöglicht, die vorher übersehen wurden oder schlichtweg unmöglich waren zu sehen oder zu tun. Martin Bruno Schmids Démolition d'un mur ist ein solches hinzufügendes Wegnehmen. Hat man doch nun die Möglichkeit die Ausstellungsräume als ein Ganzes wahrzunehmen, Veränderungen in der Lichtwirkung zu beobachten und vor allem die vorher dagewesene Schwelle zwischen beiden Räumen nun mit Leichtigkeit zu übertreten. Es sind aber nicht nur die sichtbaren Veränderungen oder die bloße Wegnahme der Mauer, die zu diesem neuen Raumgefühl beisteuern, sondern die gedankliche Verknüpfung von der neuen mit der alten Raumsituation. So wie der Meeresgrund die Vorstellung von Meer braucht, um mehr als Schlick zu sein, benötigt der Kunstverein Ahlen die imaginierte Mauer, um deren Abwesenheit wirkungsvoll zu präsentieren. Doch diese Gedankenverbindung passiert in der Kunst ganz automatisch, denn dort ist laut Samuel Beckett „das Nichtgesagte das Licht des Gesagten und jede Präsenz zugleich Absenz.“
Auch in TONDO ist diese gedankliche Brücke zum Davorgewesenen der ausschlaggebende Punkt für eine neue Wahrnehmung des Raums. Hier ist es allerdings nicht die Wegnahme des Materials, die eine Irritation verursacht, sondern lediglich das Belassen desselben. So ist ein weitaus geringer erscheinender Eingriff nicht weniger wirkungsvoll. Denn auch wenn die Veränderung sich auf den ersten Blick unwesentlich gibt, bewirkt der kreisrund ausgeschnittene, mitsamt den Fugenverläufen leicht gedrehte Teil einer Sichtbetonwand eine nicht unwesentliche Verwirrung. Während sich also bei Démolition d'un mur die Vorstellung von dem, was man nicht mehr sieht mit dem verbindet, was man sieht, verknüpft sich bei TONDO die Vorstellung, von dem, was man erwartet hat mit dem Unerwarteten, welches man tatsächlich vorfindet.
Ebenso definieren sich Martin Bruno Schmid Bohrstücke durch die Wegnahme von Material: Farbnuancen, Komposition und Rhythmisierung der Bildfläche entstehen alleine durch unzählige Bohrlöcher. So wird paradoxerweise der anfangs planen Rigipsplatte erst durch ein Entfernen ihr Erscheinungsbild hinzugefügt. Auch auf die face peelings trifft das zu. Daher erinnern die abgeschliffenen Titelblätter der Modemagazine nicht nur äußerlich an Robert Rymans Malerei: Von der Illusion einer vermeintlichen Schönheit entledigt, können sie nun reale Schönheit im Kern der Sache – dem Material an sich – finden. So verleiht die Wegnahme der Illusion dem bleibenden Rest die nötige Präsenz, um für sich alleine zu stehen. Auf dem beinahe marmorhaft anmutenden face peeling (Vogue) bleibt ein angenehmes Nichts zurück, das gerade in der gedanklichen Verknüpfung mit dem möglichen Bild des abgeschmirgelten Titelblatts seine Berechtigung erhält.
Martin Bruno Schmid nimmt die beiden Formen des Sehens also nicht einfach nur zur Kenntnis. Er verbindet das äußere (retinale) mit dem inneren (vorstellenden) Auge, indem beide gleichzeitig aktiv werden. Bei Démolition d'un mur, TONDO oder den face peelings passiert dies im Moment des Betrachtens. Bei Linie, einem raumeinnehmenden Spiegel mit länglich aufgebahrten Bohrstaub aus vorangegangenen künstlerischen Eingriffen, muss die Materialbeschreibung die nötige Verknüpfung zum inneren Auge leisten. Es mag daher keine gewollte direkte Verbindung zu Karin Sanders Zeigen. Eine Audiotour durch Baden-Württemberg geben. Doch es ist bezeichnend, dass Martin Bruno Schmid Teil einer Arbeit wurde, die die Konfrontation mit der Leere sucht, um so die Präsenz des Nicht-(Mehr-)Vorhandenen in Erinnerung zu rufen.
Nicola Höllwarth
Katalogtext, in: "Und Meese?", 2014
ABRISS
Zerlegen, Zerreißen, Bohren, Schleifen bestimmen die Arbeitsweise des Künstlers. Sein technisches Material ist Rigips, Wandfarbe, Bleistift, Spachtelmasse, Papier, Klebstoff. Das Bohren von Löchern ist ein destruktiver Akt. Zugleich bilden Löcher, die als Negativform eine leere Fläche füllen, sowohl ein ästhetisches als auch poetisches Muster aus Punkten. Bei Betrachten der Objekte von Martin Bruno Schmid entsteht ein ambivalentes Gefühl, doch die grobe Handlung des Künstlers entlarvt sich als System einer künstlerischen Reversion. Sein künstlerisches Tun hat einen forschenden Charakter, denn metaphorisch ist das Bohren ein Suchen und Untersuchen. Durch abertausende von Bohrungen mit der Bleistiftspitze befinden sich seine ‚Bohrzeichnungen’ im vagen Zustand des Verfalls. Ergraut, hauchzart und luftig schwebt das zerfledderte Papier über dem weißen Grund, lässt ein Spiel mit Licht und Schatten entstehen und kommt damit dem Himmelssymbol ‚Pi’ (aus der späten Chou-Zeit) sehr nah, denn das Loch in der Mitte der chinesischen Jadescheibe ‚Pi’ evoziert das Hereinscheinen der ‚geistigen’ Welt in das Irdische. Morbid erscheinen auch seine ‚Bohrstücke’. Weiße, mit der Bohrmaschine durchlöcherte Krusten aus Gips, Spachtelmasse und Wandfarbe scheinen abzublättern und lenken den Blick auf die Tektonik des Untergrunds, der eine Art ‚Geofraktur’, eine zerbrechliche Zone zeigt, in der auch die Bleistiftlinien der Koordination nur noch fragmentarisch existieren. Dieser scheinbare Zerfall wird letztendlich wiederum zur Öffnung, den Blick freigibt in den ‚Hintergrund’.
Dr. Otto Rothfuss und Margarete Rebmann,
Katalogtext zur Ausstellung ‚Ice / White’, Kunstverein KISS Untergröningen 2010
Martin Bruno Schmid. Abriss (Ein Abriss)
Bildverletzungen durch Ikonoklasten sind spätestens seit dem byzantinischen Bilderstreit bekannt. Der 1899 geborene Argentinier Lucio Fontana begann 1948 seine Bilder zu perforieren und hat Bildverletzungen zu seinem fast ausschließlichen gestalterischen Prinzip erhoben. Seit 1958 fügte er den Leinwänden scharfe, saubere Schnitte zu. Wenn Martin Bruno Schmid Wandflächen und Rigipsplatten durch Bohrungen bearbeitet und gestaltet, mag er zunächst als einer erscheinen, der in der Tradition der Ikonoklasten und von Fontana steht. Wenn man aber seiner Künstlerlegende folgt, geht der erste Impuls von einem anderen Kontext aus: Nach jeder Ausstellung bleiben in den Ausstellungsräumen Löcher in den Wänden zurück, die mit Gips, Moltofill oder einer anderen Spachtelmasse verfüllt und dann wieder überstrichen werden müssen. „Alles soll wie neu sein für die nächste Ausstellung. Allerdings gelingt das selten gut, weil die Wand benutzt, von der Kunst besetzt wurde. Diese Schönheitsreparaturen, diese Vortäuschungsstrategien beschäftigten Martin Bruno Schmid – und brachten ihn zu den Bohrstücken, die sich dann verselbständigten: Statt in die Wand direkt eingearbeitet zu werden, wanderten sie wieder von der Wand weg auf eine Art Bildträger, der dann auf die Wand als zweite Ebene aufgebracht wird“ (Petra Mostbacher-Dix). Zu den Bohrstücken treten bei Martin Bruno Schmid dann die Bohrzeichnungen, in denen er Papiere mit spitzen Bleistiften bis an den Rand der Auflösung bearbeitet und sie dann in Bildkästen zeigt: Man wagt kaum, vor diese Bildkästen zu treten und hat das Gefühl, dass sich die perforierten Papierfragmente vollends in Staub auflösen könnten. Mir scheint, dass Martin Bruno Schmid mit seinen Bohrzeichnungen eine der späten Modernen angemessene und ästhetisch höchst eindrückliche Form des Memento Mori gefunden hat.
(ham), in: Artheon.
Text anlässlich der Publikation zu den Ausstellungen Martin Bruno Schmid, Bohrstücke, Viennafair 09, Wien und
Martin Bruno Schmid, ABRISS (Ein Abriss) in der Städtischen Galerie Ostfildern
Stuttgart, 2009, 80 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Format 28 x 22,4 cm